14. September 2021
DIE STEINBLOSS-BAUWEISE.
EINE MÜHLVIERTLER ARCHITEKTUR-TRADITION.
Wer ihn einmal gesehen hat, vergisst ihn nie wieder: den malerischen Anblick der typischen Mühlviertler Bauernhöfe, die sich harmonisch in die hügelige Landschaft schmiegen. Was sie so besonders macht, sind die auffällig grau-weiß gefleckten Fassaden. Bekannt als Steinbloß-Stil, zeugt diese Bauweise von der Geschichte der nördlichsten Region Oberösterreichs – und dem Erfindergeist der Einwohner.
STEINBLOß: WIE MÜHLVIERTLER BAUERN AUS DER NOT EINE TUGEND MACHTEN
So reich uns das Mühlviertel heute erscheint – an Natur, Landschaft, Kulinarik –, so entbehrungsreich gestaltete sich dort einst das Leben. Die großteils bäuerliche Bevölkerung musste davon leben, was sie dem kargen Granithochland abringen konnte. Und das waren in erster Linie natürlich: Granitfeldsteine. In Massen wurden diese beim Pflügen der Felder zutage gefördert und am Ende eingesammelt. Als billiges Baumaterial wurden sie dann bei der Errichtung bäuerlicher Gehöfte verarbeitet. Den sehr raren Kalk konnte man sich hingegen kaum leisten. So kam die typisch Mühlviertler Steinbloß-Bauweise zustande.
STEINBLOßBAUTEN ALS ZEUGEN BÄUERLICHER (BAU-) KULTUR
Um einen Bauernhof im Steinbloß-Stil zu bauen, schichtete man die Granitfindlinge zu doppelwandigen Mauern übereinander. Die flache Seite der Steine zeigt dabei nach außen. Das Besondere dabei ist, dass die Granitsteine nicht wie sonst üblich von Steinmetzen bearbeitet wurden, sondern von den Bauern selbst. Die Zwischenräume wurden mit Sand, Erde und Lehm aufgefüllt und verfugt. Darüber kam der Verputz aus Kalk und Lehm. Warum blitzen dann heute die Granitbrocken dunkel aus der Fassade hervor? Einerseits haftete der Kalk nicht so gut an dem Gestein, daher wurden diese Stellen teils einfach ausgespart. Andererseits wusch die Witterung nach und nach den weißen Verputz ab – und der Stein wurde mit der Zeit „bloß“.
VON DREISEIT- UND VIERKANTHÖFEN BIS HIN ZU KAPELLEN
Der Steinbloß-Stil mit seinen deutlich sichtbaren, unverputzten Granitfeldsteinen in den weiß gekalkten Mauern ist charakteristisch für alte Dreiseit- und Vierkanthöfe im Mühlviertel. Aber auch alte Kapellen, die ebenfalls zu den bäuerlichen Bauwerken zählen, weisen häufig diese markante Optik auf. Bis heute bietet die Steinbloß-Bauweise Vorteile: Die Hitze heißer Sommertage kann die dicken Mauern kaum durchdringen, dafür speichern sie im Winter die Wärme drinnen in den Stuben.
SO LEBT DIE STEINBLOß-TRADITION BIS HEUTE WEITER
Viele der alten Steinbloß-Bauten „verschwanden“ in den 1970er- und 1980er-Jahren – hinter neuartigen Fassadengestaltungen, Vertäfelungen oder einem neuen Anstrich. Teils wurden sie sogar abgerissen, denn die Mauern mit den großen Granitfeldsteinen darin machen Umbauten kompliziert. Doch seit ein paar Jahren nehmen immer mehr Bauherren die Herausforderung an und besinnen sich wieder auf die Steinbloß-Tradition. Neben umsichtigen Renovierungen entstehen auch neue Projekte im Mühlviertler Stil.
STEINBLOß ERLEBEN: AUSFLUGS- UND WANDERTIPPS
Die Steinbloß-Bauweise ist vor allem im Unteren Mühlviertel anzutreffen. Manchmal werden ganze Ortsbilder davon geprägt, etwa in Ottenschlag und Bad Zell. Auch bei Wanderungen lassen sich viele alte Bauernhäuser und Kapellen entdecken:
- Steinbloß-Mauer-Weg in Hirschbach: Auf dem 12,5 km langen Themenrundweg (Start am Ortsplatz) kommt man nicht nur an den namensgebenden Steinmauern, sondern auch an Höfen sowie Andachts- und Kraftplätzen vorbei. Auch Beispiele moderner Steinbloß-Architektur sind hier zu sehen.
- Steinbloß-Kapelle Kammerer Kreuz in Kaltenberg: Zur Bergkapelle auf 989 Metern in Silberberg kommt man auf einer Halbtagestour von Kaltenberg aus durch das Höllenbachtal. Belohnt wird man mit einem Postkarten-Ausblick von der Wallfahrtskapelle aus.
- Hoisn-Kapelle bei Weitersfelden: Bei dieser Granitstein Dorfkapelle besteht selbst das Dach aus Granitstein. Man erreicht sie über den 10 km langen Rundwanderweg „Granitsteig Nr. 60“ von Weitersfelden über Haid nach Wienau. Dabei passiert man außerdem mehrere Steinbloß-Höfe.