16. Februar 2021

FASTEN ZWISCHEN SPIRITUALITÄT UND TREND.

WARUM DER BEWUSSTE VERZICHT SO AKTUELL IST.

Von Basenfasten bis Intervallfasten: Der bewusste Verzicht scheint zu boomen. Doch woher kommt das Fasten? Warum tun sich Menschen die Askese an? Und was sagt das alles über unsere Konsumgesellschaft, die im Überfluss lebt, aus? Eine kleine Geschichte des Fastens und Gedanken zum Heute.

FASTEN: EINE RELIGIÖS UND KULTURELL UNIVERSELLE PRAXIS

Die Tradition des Fastens gibt es in so gut wie allen Religionen und Kulturen. Das beginnt schon damit, dass von allen großen Religionsbegründern von Jesus bis Mohammed überliefert ist, dass sie eine Periode des Fastens durchlebten. Auch die Glaubensangehörigen sollen zu bestimmten Zeiten wie dem islamischen Fastenmonat Ramadan, jüdischen Fastentagen wie Jom Kippur oder der christlichen österlichen Fastenzeit auf (bestimmte) Nahrung verzichten. Ursprünglich diente das Fastenritual dazu, sich auf den Glauben zu konzentrieren. Sich zu „reinigen“ und zu öffnen für die göttliche Erfahrung. Häufig sind weitere Verhaltensweisen an das Fasten gebunden, beispielsweise Almosen zu spenden oder häufiger zu beten. Man fastet, um Buße zu tun, um seiner Trauer Ausdruck zu verleihen oder um dadurch transzendente, prophetische Offenbarungen zu erhalten.

FASTENKUREN & -ÄRZTE: FASTEN IN DER MEDIZIN

Dass sich Fasten außerdem positiv auf die Gesundheit auswirken kann, wurde schon früh beobachtet. Ärzte im alten China (2.800 bis 2.600 v. Chr.) berichteten genauso darüber wie jene der Antike – darunter Hippokrates – oder griechische Philosophen. Als im auslaufenden 19. Jahrhundert der Einfluss der Kirche schwand und somit das Fasten aus dem Glauben heraus abnahm, wurde der medizinische Aspekt wichtiger. Fastenärzte entwickelten Fastenkuren zur Therapie aller möglichen Leiden. Man war fasziniert von sogenannten Fastenkünstlern, die sich etwa in Kaffeehäusern öffentlich kasteiten. Erstmals erfasste man methodisch die körperlichen Vorgänge, die während des Fastens ablaufen. Fasten galt als Selbstheilungsprozess des Körpers. Schließlich sei bei Krankheit oft der Appetit auf natürliche Weise vermindert, sodass der Körper seine Kräfte ganz auf die Heilung fokussieren könne.

WENIGER IS(S)T MEHR: FASTEN ZUM ABNEHMEN

Damals galt das Fasten noch gar nicht primär dem Kampf gegen Übergewicht. Das kam erst in den 1960er-Jahren mit der berüchtigten „Null-Kalorien-Diät“. Heute scheinen die positiven Auswirkungen des Fastens auf die Gesundheit bei vielen wieder im Vordergrund zu stehen. Ob Basenfasten, Intervallfasten, geleitetes Fasten in der Gruppe oder in speziellen „Retreats“ – es geht darum, Wohlstandskrankheiten vorzubeugen und häufig auch die Leistungsfähigkeit zu steigern. Über das Weniger soll man zum Mehr gelangen: durch weniger Essen zu einem besseren Immunsystem, einer besseren Konzentration, einem besseren Anti-Aging. Sogar eine regelrechte Fasten-Euphorie soll nach zwei, drei Tagen einsetzen.

WARUM FASTEN FREUDE BEDEUTET

Manche mögen hier stutzig werden: Macht Fasten denn statt „happy“ nicht eher „hangry“, also leicht aggressiv und gereizt? Dazu muss man wissen, dass Fasten dem (unfreiwilligen) Hungern nicht gleichzusetzen ist. Sondern es ist die bewusste Entscheidung, eine Zeit lang weniger bis gar nichts zu essen. Der Geist fastet quasi mit dem Körper mit. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem Verzicht – sondern darauf, was man durch den Verzicht gewinnt. Deutlicher wird das vielleicht, wenn man sich ansieht, was Menschen heutzutage denn noch so alles „fasten“. Social-Media-Fasten, Autofasten und Co. liegen genauso im Trend wie das klassische Fasten von Nahrung. Wer häufiger das Smartphone aus der Hand legt oder das Auto stehen lässt, gewinnt Freizeit oder entdeckt neue Spazierwege.

VOM KONSUMWAHN ZUR INNEREN FREIHEIT

Gewohnheiten zu fasten regt dazu an, unsere Konsumgewohnheiten zu hinterfragen. Wie viel Social Media oder Auto brauche ich wirklich in meinem Leben? Wie viel davon tut mir eigentlich gut? Durch Fasten kann es gelingen, sich zumindest für eine Zeit lang von „schlechten“ Angewohnheiten zu verabschieden. Sich von ihnen zu befreien und sich dadurch frei zu machen für etwas anderes. Und sich nach dem Fasten womöglich wieder aus freiem Willen dafür zu entscheiden – und nicht aus einem Zwang oder einer Gewohnheit heraus. Fasten schärft unser Bewusstsein. Nicht nur in der Frage nach dem wie viel, sondern auch in der Qualität des Erlebens. Nach einer Fastenperiode schmeckt der erste Bissen umso besser (daher auch das üppige Ostermahl, das etwa in Form eines Osterbrunches zelebriert wird). Man kann wieder so richtig genießen, was man davor achtlos konsumiert hat. Auf unsere Gesellschaft umgelegt bedeutet das: Wer immer alles hat oder haben kann, der verliert irgendwann den Blick für das, was er hat. Der bewusste Verzicht lehrt uns wieder die Freude daran und die Dankbarkeit dafür. Und damit ist die Jahrtausende alte Tradition des Fastens gerade in unserer heutigen Welt für viele aktueller denn je.

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