21. Dezember 2021
DAS GESCHENK DER GASTFREUNDSCHAFT.
EIN KOSTBARES KULTURGUT.
Haben Sie schon Pläne für Weihnachten und Silvester? Rund um die Feiertage beginnt wieder die Zeit, in der besonders gerne zusammen gefeiert wird – und in der wir daher entweder zum Gastgeber werden oder selbst Gast sind. Für uns der perfekte Anlass für ein paar Gedanken zur Gastfreundschaft. Bis heute ist sie in allen Kulturen von großer Bedeutung, und das nicht nur in den Tagen der Weihnacht.
GASTFREUNDSCHAFT ALS EIN ZUTIEFST MENSCHLICHES BEDÜRFNIS
In den Wochen, in denen die Gastfreundschaft hochgehalten wird, spüren es viele dieses Jahr besonders stark: die Sehnsucht nach Gemeinschaft. Zusammen rund um einen Tisch zu sitzen, gemeinsam zu essen und zu trinken, sich zu unterhalten, zu sinnieren, zu lachen, Verbundenheit zu erfahren. Vor allem in der Rolle des Gastgebers will man brillieren. Legt sich einen „Schlachtplan“ für den Ablauf bis zum Festessen zurecht, überlegt sich eine stimmige Tischdeko, notiert sich gedanklich womöglich sogar Themen für angeregte Tischgespräche oder stockt die Hausbar auf. Keine Mühen werden gescheut, damit es den Gästen gut geht. Meist sind dies Menschen, die uns vertraut sind, unsere Familie und Freunde. Doch ursprünglich waren die Empfänger der Gastfreundschaft andere.
GASTFREUNDSCHAFT ALS KULTURELLE ERRUNGENSCHAFT
Wen man früher als Gastgeber bewirtete, waren im wahrsten Sinne des Wortes andere, nämlich: Fremde. Sprachgeschichtlich sind unsere Gäste das noch heute: Die Wörter „Gast“ und „Fremder“ oder sogar „Feind“ stammen von derselben Wortwurzel ab. Das proto-indo-europäische gʰóstis erkennt man bis heute etwa im englischen host, dem Gastgeber – aber auch in hostile, was feindlich, feindselig bedeutet. Freund und Feind als zwei Seiten derselben Medaille also. Evolutionär gesehen war es daher eigentlich sinnvoller, gegenüber Fremden eine misstrauische Haltung einzunehmen. Diesem Instinkt zu trotzen und den Anderen ins eigene Zuhause einzuladen, wurde stets als umso größere Errungenschaft der menschlichen Kultur erachtet.
GASTFREUNDSCHAFT ALS GÖTTLICHES GEBOT
Gastfreundschaft ist in allen menschlichen Kulturen und Religionen anzutreffen. Oft galt sie sogar als Pflicht gegenüber den Göttern. Wer die meist ungeschriebenen Gesetze der Gastfreundschaft verletzte, zog in vielen überlieferten Mythen, antiken Tragödien und religiösen Texten göttlichen Zorn auf sich und wurde hart bestraft. „Jeder Gast ist ein Geschenk Gottes“, lautet ein georgisches Sprichwort. In manchen Erzählungen wiederum handelt es sich beim Gast selbst um eine göttliche Gestalt, die sich erst nach einer Art Prüfung zu erkennen gibt. Nicht zuletzt spielt (mangelnde) Gastfreundschaft in der biblischen Weihnachtsgeschichte eine Rolle, wo das Christuskind in einem Stall geboren wird, „weil in der Herberge kein Platz war“. In der christlichen Lehre wurde das uralte Gebot der Gastfreundschaft mit Nächstenliebe und Barmherzigkeit verwoben. Aber auch im Judentum und Islam kennt man das Gastrecht, das mehr oder weniger ausformuliert war. Mitunter existieren spezielle Rituale, wie sich Gast und Gastgeber zueinander zu verhalten haben.
GASTFREUNDSCHAFT ALS UNGESCHRIEBENES GESETZ
Gastfreundschaft regelte das Miteinander und den Umgang mit Fremden. Dies war einst so wichtig, da es keine Institutionen wie die Polizei gab, die sich um den Schutz Reisender kümmerten. In diesem Sinne ermöglichte Gastfreundschaft erst den Handel. Ortsfremde galten demnach als besonders „schutzbedürftig“. Ihnen stand zu, dass ihre grundlegenden Bedürfnisse gestillt würden: Speis, Trank, Obdach, Schutz, aber auch Ansprache, Kommunikation und Austausch. Wer dem Gast all dies gibt, ist – sehr buchstäblich – der Gastgeber. Spannenderweise benennt das französische Wort hôte beides, Gast und Gastgeber zugleich. Auch hier besteht also eine enge (nicht nur sprachliche) Verbindung, die der Philosoph Jacques Derrida sogar als „Geiselhaft“ bezeichnete. Das bedeutet: Gastfreundschaft bedingt eine gegenseitige Verpflichtung zu Aufrichtigkeit und Wohlwollen. Der Gastgeber nimmt den Gast auf, dafür wird ihm der Gast nicht schaden oder seine Gastfreundschaft ausnutzen.
GASTFREUNDSCHAFT ALS GESCHENK
Diese Gegenseitigkeit zeigt ein weiteres uraltes Prinzip der menschlichen Kulturgeschichte auf: jenes des Gebens und Nehmens. Hier knüpft die ebenfalls ungeschriebene Tradition des Schenkens an, die rund um Weihnachten wie die Gastfreundschaft ein Hoch erlebt. Jedes Geschenk erwartet gewissermaßen ein Gegengeschenk. Heutzutage kann man sich Gastfreundschaft, wie uns zahlreiche Tourismuswerbungen versichern wollen, kaufen. Doch darüber sollten wir gerade an Weihnachten nicht vergessen, dass Gastfreundschaft das Geschenk aller Geschenke ist. Und dass sie uns daran erinnert, uns in Dankbarkeit zu üben – nicht nur dafür, was unter dem Baum liegt, sondern für alles, womit wir in unserem Leben beschenkt worden sind.