6. Oktober 2020
Spiritual Food.
Essen mit (gutem) Gewissen.
„Du bist, was du isst!“ Dieses geflügelte Wort hat heute mehr denn je seine Richtigkeit. Denn unsere Ernährung wird immer mehr zum Ausdruck der persönlichen wie politischen Lebenseinstellung. Spiritual Food nennt sich der Trend dazu. „Gutes Essen“, so der Anspruch, muss nicht nur gut schmecken, sondern auch Körper und Geist guttun – und es muss „gut“ für Tier- und Umwelt sein.
Egal um welchen Bereich es geht, Achtsamkeit lautet das Gebot der Stunde. Auch in der Küche: Unter Spiritual Food verstehen Trendforscher die ganzheitliche Herangehensweise an das Thema Ernährung. Es geht darum, sich intensiv mit Lebensmitteln zu beschäftigen und eine bewusste Auswahl zu treffen – all das basierend auf bestimmten Werten. Das Ziel ist es, eine Ernährungsweise zu finden, die Ausgeglichenheit für den Körper ebenso wie den Geist bringt.
Spiritual Food: Wenn Essen zur Glaubensfrage wird
Mit Spiritual Food verbindet man keinen bestimmten Kanon an Rezepten, auch wenn leicht bekömmliche Gerichte mit viel Gemüse und Kräutern typisch sind. Ausschlaggebend ist hingegen der Ursprung des Essens: Was esse ich überhaupt? Was genau ist drin? Woher kommen die Zutaten und wie wurden sie hergestellt? Wie wurde das Essen zubereitet? Jeder muss diese Fragen mit sich ausmachen und seine eigenen Regeln finden, mit denen er oder sie sich wohlfühlt. Am Ende steht moralisch vertretbares, „sauberes“ Essen, das man mit gutem Gewissen genießen kann.
„Ohne“ ist die Devise
Apropos sauber: Spiritual Food weist eine gewisse Ähnlichkeit zu Clean Eating auf, denn (stark) verarbeitete Produkte sind verpönt. „Ohne“ ist die Devise: ohne Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker, Farbstoffe und Aromen. Regionalität, Nachhaltigkeit, Saisonalität und Bio sind wichtige Kriterien. Lebensmittel, Pflanzen und Tiere sollen wertgeschätzt werden. Durch die bewusste Auswahl soll automatisch weniger konsumiert und somit der grassierenden Lebensmittelverschwendung Einhalt geboten werden. Angesichts des Lebensmittelüberflusses in unserer Gesellschaft einerseits und der Begrenztheit von Ressourcen andererseits gilt es, eigene Essensgewohnheiten kritisch zu hinterfragen.
Von koscher bis vegan: Das bedeutet Spiritual Food
Beispiele zeigen, dass Spiritual Food im Prinzip nichts Neues ist. Viele Religionen bringen ihre eigenen Vorschriften für die Ernährung mit sich. Das reicht von den „koscheren“ jüdischen Speisegesetzen über die Ayurveda-Küche bis hin zum muslimischen Konzept „halal“. Doch Spiritual Food spricht auch Atheisten an. Händler berichten, dass koschere oder halal-zertifizierte Produkte immer stärker von Kunden nachgefragt werden, die diesen Religionen nicht angehören. Sie sehen die oft strengen Regeln als eine Art Qualitätskontrolle für die Lebensmittelsicherheit. Da Spiritual Food generell mit der Weltanschauung und moralischen Überzeugung zu tun hat, zählt etwa auch Veganismus dazu. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn man aus ethischen und nicht aus gesundheitlichen und geschmacklichen Gründen kein Fleisch isst.
Wie Essen zur Ersatzreligion wurde
Der Trend, Essen als Spiritual Food zu zelebrieren, veranschaulicht, dass Essen in unserer Gesellschaft immer mehr zu einer Ersatzreligion wird. Traditioneller Glaube und andere gesellschaftliche Richtungsweiser hingegen verlieren kontinuierlich an Bedeutung. Durch das „richtige“ Essen wollen viele nun zum „richtigen“ Leben finden. Essen muss auch seelisch satt machen. Dadurch, dass es Ausdruck unserer Lebenseinstellung und Werte ist, wird es auch zur Ausdrucksmöglichkeit unseres Ichs. Der Verzehr bestimmter Lebensmittel – oder eben der Verzicht darauf – wird zum politischen Statement. Vor allem Fleischgenuss ist mittlerweile keine Frage der Leistbarkeit mehr. Die Ernährungsweise steigt auf zum Statussymbol, über welches man sich mit gleichgesinnten Peers identifiziert. Essen als Gemeinschaftserlebnis also – nur auf einer anderen, neuen Ebene. Und die Werte, für die Spiritual Food steht, sind in unserer Gesellschaft hoch angesehen, von der Selbstdisziplin bis zum Engagement für Klimaschutz.
Alles nur ein Marketing-Gag?
Im Supermarkt findet man bereits zahlreiche Produkte, die mit „frei von“ beworben werden. Spiritual Food fordert allerdings ein grundlegenderes Umdenken der Industrie. Lebensmittelkonzerne und Gastronomen müssen sich anpassen, um diese anspruchsvollen, bestens informierten Kunden nicht zu verlieren. Denn gewillt, mehr zu bezahlen, sind sie. Dafür fordern sie Transparenz und hinterfragen die Massenproduktion, insbesondere die Massentierhaltung. In Zeiten, wo die Folgen der konventionellen Landwirtschaft für den Klimawandel und die Artenvielfalt immer offensichtlicher werden und wo die Öffentlichkeit von Lebensmittelskandalen aufgerüttelt wird, kommen sie gerade richtig. Daher wird uns Spiritual Food als Food Trend wohl noch eine ganze Weile begleiten …